Anders-Institut
und Verlag
Netzpolitik/Piraten
WikiLeaks/Whistleblower
Privatisierung und Korruption
BertelsmannKritik Medienimperium
PANOPTISMUS
InversesPanoptikum
Wilhelm Reich
Netzphilosophie
Foucault

Piraten NRW kontra Bertelsmann:

Piratenpartei Deutschland  -  Landesverband Nordrhein-Westfalen

Wahlprogramm V2.3 | Stand 03.05.2012  PDF-Download  

S.40/75, Stiftungsrecht: "Die PIRATEN NRW fordern eine Revision des NRW-Stiftungsrechtes und die sofortige Rücknahme der Lex Bertelsmann.
Die PIRATEN NRW fordern als Sofortmaßnahme die Streichung der § 7, Abs. 1, Satz 2 und § 12, Abs. 5 des NRW-Stiftungsrechtes sowie die Aberkennung des steuerbefreienden Status der Gemeinnützigkeit der Bertelsmann Stiftung. Weitergehende Änderungen und eine umfassende Novellierung des Stiftungsrechtes bleiben davon unberührt."

Anmerkung dazu: Wenn es um Belange von Bertelsmann geht, läuft so manches anders in unserem Land, besonders in NRW, wo der Weltkonzern seine Zentrale in Gütersloh hat: In der NRW-Vorlage zur Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie hieß es z.B. auf Seite 3 unter G: Befristungen: "Das Stiftungsgesetz tritt am 14.02.2010 außer Kraft." Aber bei der nachfolgenden "Gegenüberstellung" (S. 29) unter "Artikel 8 Stiftungsgesetz" wurden dennoch Änderungen für das Stiftungsgesetz vorgenommen.

 

----

Benutzte „Raubkopierer-sind-Verbecher“-Kampagne selber Raubkopien?

Gericht stellte fest: Komponist von Anti-Piracy-Clip um Tantiemen betrogen

Thomas Barth 20.Juli 2012

 

Amsterdam. Juristische Schlappe für Verwerter: Die niederländische Verwerter-Agentur Stemra wurde zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie fällige Lizenzgebühren vorenthalten hatte. Ausgerechnet für die Musik eines Anti-Piracy-Clips hatte man Tantiemen nicht an einen Künstler ausgezahlt. Ein Amsterdamer Gericht verhängte eine Geldstrafe von ca. 20.000 Euro  und bestätigte Forderungen des Musikers in Höhe von ca. 160.000 Euro, meldete digitaljournal.com.

 

Nun wurde sie selbst beim Raubkopieren erwischt –eine teure Ironie. Immer wieder wirft sich die Medienindustrie in die Brust, sie kämpfe gegen verbrecherische Raubkopierer für die armen Künstler. Schon 2001 drohte eine Verleger-Kampagne in großen Zeitungsanzeigen mit der "Entlassung" von freien Journalisten und Künstlern. Man hätte einfach kein Geld mehr für sie, würden die Interessen der Verwerter nicht durchgesetzt, siehe  G.Hostreiter (Pseudonym von T.Barth): Streit um das neue Urhebervertragsrecht

Dafür produziert sie teure Werbeclips und nervt jeden Kauf-DVD-Seher mit ihren selbstgerechten und verlogenen Tiraden (Raubkopieren ist bislang keineswegs ein „Verbrechen“, auch wenn die Verwerter das Strafmaß dafür gerne so hoch schrauben würden). Politiker springen der Industrie gern zur Seite und mahnen mehr Achtung vor der Leistung der Kreativen bei den Internet-Usern an.

Doch wie steht es mit der Moral der Verwerter selbst, wenn es um die Zahlung für kreative Leistungen geht? Schlecht. Wer ein Werk (ob Bild, Ton oder Text) verkauft, wird meist mit einer mageren Einmalzahlung abgespeist und muss künftig selbst hinter den multinationalen Konzernen herlaufen, um zu kontrollieren, ob und wo sein Werk erneut verwendet wird. Um selbst diese geringen Chancen der Kreativen auf Partizipation an den gigantischen Gewinnen der Konzerne noch zu unterbinden, müssen die meisten Autoren (Medien-Prominenz der „The-winner-takes-all“-Fraktion natürlich ausgenommen) Knebelverträge unterschreiben. Hierin sichert sich der Verwerter alle Rechte für immerdar am einmal mager bezahlten Werk und, wenn es nach der Unternehmerseite geht, auch gleich an den kompletten Recherchen des Autors.  Wer das nicht will, wird oft mit Boykott erpresst; wer sich dagegen öffentlich zur Wehr setzt, muss fürchten, auf einer Schwarzen Liste zu landen. Doch selbst wer Rechte hat, muss sie anscheinend manchmal erst gerichtlich durchsetzen, wie der niederländische Musiker Melchior Rietveldt, der mit seinem Fall in Amsterdam Wellen schlug.

  Im Jahr 2006 komponierte Melchior Rietveldt ein Musikstück für eine Anti-Piracy-Kampagne bei einem lokalen Filmfestival. Als Rietveldt 2007 eine Harry-Potter-DVD kaufte, entdeckte er sein Musikstück darauf: Der Anti-Piracy-Clip war ohne seine Erlaubnis mit seiner Komposition unterlegt. Er fand sich solcherart raubkopiert auf Dutzenden von DVDs in den Niederlanden und im Ausland. Rietveldt wandte sich an die zuständige Verwerter-Agentur Buma/Stemra (die niederländische GEMA). Die hatte seine Rechte zwar vertreten, aber leider versäumt, ihn für das oft verwertete Stück zu bezahlen. Rietveldt erhielt von der Stemra einen Vorschuss von 15.000 Euro mit dem Versprechen, eine Liste der anderen DVDs zu übermitteln, die seine Komposition verwenden. 2009 forderte Rietveldt von der Stemra  einen Nachschlag und bekam nach einigem Gerangel weitere 10.000 Euro.

Die Rietveldt von der Stemra versprochene DVD-Liste kam zwar nie bei ihm an, aber das Gericht in Amsterdam stellte diese Woche dennoch fest, seine Komposition sei auf mindestens 71 kommerziellen DVDs von der Medienindustrie verwendet worden. Die Justiz entschied, dass die Stemra fahrlässig gehandelt habe. Sie wurde mit einer Geldstrafe von 20.000 Euro belegt und muss  künftig ausstehende Zahlungen leisten. #

vgl. TorrentFreak (July 17, 2012) Rights Group Fined For Not Paying Artist For Anti-Piracy Ad

-----------------------------------

„Spiegel“ meint: Piraten sind dumm, albern und irgendwie –Nazis

Shitstorm à la Feuilleton: Matthias Matusseks Anti-Piraten-Pamphlet

Thomas Barth, Juni 2012

 

In seiner ersten Juni-Ausgabe führte der „Spiegel“ (23/2012) den bislang unsportlichsten Tiefschlag gegen die Piraten –in der Rubrik „Kultur“. Raubkopierer sind Verbrecher –dann sind Piraten… irgendwie Nazis. Nur mit der Begründung der Diffamierungen haperte es etwas.

Piraten stellen das Urheberrecht zur Diskussion: Da tobt die Medienindustrie, auch der „Spiegel“. War dies die Rache des größten europäischen Urheberrechte-Verwerters Bertelsmann an den Piraten? Denn die hatten nicht nur die Verwerter-Profite bedroht, sondern im NRW-Wahlkampf auch noch Forderungen der Anti-Bertelsmann-Bewegung aufgenommen.

Die Gemeinnützigkeit der Bertelsmann-Stiftung

Die NRW-Piraten wollten der milliardenschweren Bertelsmann-Stiftung die Gemeinnützigkeit entziehen, einem neoliberalen Think Tank also, der hierzulande mächtigsten Lobbyismus-Fabrik mit angeschlossenem Medienimperium. Es geht um viele Millionen jährlicher Steuererleichterungen, die nach Meinung der Kritiker unrechtmäßig an Bertelsmanns „Abteilung für politische Kampagnen“ vergeben werden, da die Stiftung zudem heimlich und illegal Profitinteressen des Konzerns befördere –etwa, wenn für die Privatisierung staatlicher Verwaltungen getrommelt wird, für welche die Bertelsmann-Sparte „Arvato Government Services“ ihre bezahlten Dienste anbiete.

 

Polit-Kampagne im Feuilleton

Der „Spiegel“ brachte das Anti-Piraten-Pamphlet im Feuilleton, eingeklemmt zwischen Szene-Berichten über  die TV-Serie „Girls“ und ihr neurotisches Sexleben, Documenta-Kunst und, reich bebildert, über die „Generation Porno“ im Internet. „Debatte: Das maschinenhafte Menschenbild der Piraten“ verkündete das Inhaltsverzeichnis. Über Netzpolitik sagt das Pamphlet von Matthias Matussek fast nichts und die Überschrift im Heft klang etwas abgemildert: „Der neue Mensch –Über die alberne Hoffnung auf eine Jugendrevolte im Netz“.

Der „Spiegel“ setzte in der Schmähschrift seine Kampagne gegen die Piraten fort, mit den gewohnten Parolen, ausgewalzt über eine komplette Doppelseite: Der Netzjugend gehe es zu gut, sie sei dumm, albern und wolle alles umsonst, die Piraten seien Clowns, nicht ernst zu nehmen und irgendwie –Nazis. Damit reitet der „Spiegel“ den klapprigen Gaul der Stigmatisierung der Hacker- und Netzkultur weiter, diesmal mit den Piraten im Visier. Drei Hefte zuvor hatte der „Spiegel“ z.B. Beppe Grillo, „Italiens erfolgreichsten Politik-Piraten“, als bloggenden Clown beschrieben, der schreie „wie einst Bennito Mussolini“.

 

Das Anti-Piraten-Pamphlet

„Spiegel“-Schreiber Matussek haut in dieselbe Kerbe. Links das Großbild einer (in diesem Kontext eines Pamphlets über eine angebliche Jugendrevolte) wirklich albern dargestellten, sehr jungen Piratin zu sehen -mit riesiger roter Plastiksonnenbrille hinterm Laptop mit Piratenaufkleber. Darunter bekennt Matussek einleitend, er wäre verstört von der Beschäftigung mit den Piraten. Am meisten verstört ihn „die Bereitschaft vieler Meinungsmacher zur Regression“. Listig verpackt er die erste Beleidigung in eine scheinheilige Selbstkritik: „Was müssen wir mit unserem Latein am Ende sein, wenn wir die Zukunft in die Hände dieser mal ratlosen, mal zynischen Rasselbande legen wollen.“ Bei denen sei eine neue Jugendrevolte zu suchen? Nein, „was für ein Trugschluss“, findet Matussek. Auf der gegenüber liegenden Seite verkündet ein Kasten in fetten roten Lettern, was man hinter dem Trugbild der Revolte vermuten soll: „Ein Aufstand aus der Welt der Wohlstandsverwahrlosten, die alles umsonst haben wollen.“ Keine Revolte, sondern ein Aufstand, soweit also das erste nichtssagende Ergebnis der „Spiegel“-Analyse.

 

Nerd-Bashing für Lady Gaga

Am meisten wurmt Matussek der „Streit ums Urheberrecht“, denn „ein ganzer rechtlicher Rahmen soll korrumpiert werden, um diesen Wohlstandsteenager zu schützen, der den neuesten Lady-Gaga-Song kostenfrei haben will.“ Unfair sei, dass im Piraten-Kid meist der „idealistische Nerd ohne Taschengeld“ gesehen werde: „Wieso eigentlich?“, fragt Matussek empört, „Könnte er nicht auch ein aufgepumpter Bully sein, der anderen Kindern das Handy wegnimmt?“ Die Piraten sind lächerlich, denn sie nennen sich „Immaterialisten“, das hat Matussek irgendwo im Internet gelesen und es klingt für ihn „doch stark nach einem dieser kontakt-gestörten Spinner aus der US-Soap ‚The Big-Bang-Theory‘“; dass Mainstream-Medienmann Matussek das findet, verwundert kaum, denn andere Mainstreamer haben ja besagte Soap eigens zur humorigen Verunglimpfung der Netz- und Nerdkultur kreiert.

Die US-Nerds dieser Soap sind aber nicht nur alberne Witzfiguren, sondern auch total unpolitisch, der US-Regierung und jedem dahergelaufenen Finanzboss hündisch ergeben sowie frei von jedem moralischen Zweifel, wenn sie Atomraketen oder Biowaffen bauen sollen. So hätten manche die Nerd- und Netzkultur gerne, aber die Piraten strafen dieses Wunschbild Lügen. Piraten wollen einfach nicht zum stigmatisierenden Stereotyp passen, das Mainstreamer wie Matussek ihnen in ihren Medien andichten, das macht wütend.

 

Heidegger und die Plagiatsfahnder

Wütend macht Matussek auch die mangelnde „Achtung vor geistiger Leistung“ und die Heuchelei der Piraten, die im Netz raubkopieren, aber Jagd auf plagiierende Politiker machen: Plagiatsfahnder seien „die allergehässigsten Jagdgemeinschaften“. Matussek sieht keine besondere Verpflichtung der Machtelite, sich an rechtliche Strukturen ihres eigenen Machtsystems zu halten, und er begreift auch nicht den Unterschied zwischen einer Kopie für den Eigenbedarf und einem Plagiat.

Doch mit welcher Rechtfertigung rückt der Wut-Journalismus von Bertelsmann nun die Piraten in die Nähe von Nazis? Den „jungen Netzmenschen“ eigen sei ihr „Mechaniker-Gequatsche von Programmierern“, kritisiert Matussek, Gequatsche, das ihn an das „ontologische Murmeln Heideggers“ erinnere. Der Netzaktivist habe „sowieso das Gefühl, die anderen, die Unwissenden, meilenweit abzuhängen. Und plötzlich schweben Erfindungen wie ‚Liquid Democracy‘ über uns wie bunte Luftballons über einem ewigen Kindergeburtstag und sollen die Welt retten.

Matussek findet sich witzig, Kindsköpfe wollen mit Luftballons die Welt retten, haha, das ist dumm und albern. Und irgendwie klingen sie nach Heidegger, bei dem viele 68er das Prädikat „Nazi-Philosoph“ mitdenken. Diese an den Hitlerbarthaaren herbeigezogene Unterstellung bleibt gleichwohl noch die plausibelste Piraten-Nazi-Verbindung, die Matussek herzustellen weiß.

 

Piraten sind die „Wohlstandsverwahrlosten“

Piraten sind also dumm, albern und irgendwie Nazis, aber es geht ihnen auch zu gut und sie wollen alles umsonst im Netz. Skandalös ist dies, weil dort Matusseks Geldgeber vom Bertelsmann-Konzern unbedingt ihre Milliarden verdienen müssen, aber diesen letzten Punkt verschweigt er. Matussek regt sich lieber auf: „Sie geben sich kapitalismuskritisch, aber ihre Vorstöße zum Urheberrecht sind nichts anderes als Aufstände aus der Welt der Wohlstandsverwahrlosten, die alles umsonst haben wollen“. Piraten sind, laut Matussek, voller „Überheblichkeit wie die 68er. Der Unterschied: Damals wurde gelesen, gelesen, gelesen“, und zwar: „Benjamin, Trotzki, Bakunin, Adorno, Reich“.

In der dummen Netzkultur blieben dagegen, so Matussek, von Büchern nur „Slogans und Klappentexte“, „die dröhnende politische Leere aller Piraten-Verlautbarungen“ verdanke sich der „feuilletonistischen Jagd nach dem neuesten Reiz“, dem „nächsten Ding“, dem „‘Dada‘ der Netzavantgarde“: Alles sei dumm und auf dem „Theorieniveau des ‚Yps‘-Magazins, das uns erklärte, wie man mit einer Scherbe und einer Paketschnur Feuer macht.“ Aber liefert Matussek selbst hier wirklich politische Kritik auf dem analytischen Niveau von Adorno und Benjamin? Oder nicht doch eher feuilletonistisches Gebrabbel mit einem Schuss elitären Ekels vor der Popkultur und den schon aus der Antike bekannten Klagen über die Verderbnis der Jugend?

 

Trivial! Sie lesen Comics!

„In den albernen Trivialmythen der neuen Netznomaden fließen unübersehbare Elemente der Science-Fiction-Literatur und der Comics zusammen“, empört sich Matussek, die „Kolumne des sicherlich amüsantesten Netzkolumnisten“, laut Matussek soll das Sascha Lobo sein, heiße „Die Mensch-Maschine“. Darin stecke „der Cybernautentraum von Erlösung und ewigem Leben im Netz, natürlich eine kindische theologische Travestie“. Einen Mythos hat Matussek hier richtig erkannt, doch vielleicht ist dieser nicht so albern, kindisch und trivial wie er glaubt: Die Überwindung des Todes durch Wissenschaft und Fortschritt ist Thema großer Denker seit Beginn der Moderne, aber vielleicht fehlte die Aufklärung ja auf den 68er-Büchertischen.

Tatsächlich wird diese ehrwürdige philosophische Tradition unter dem Stichwort „Techgnosis“ in der Netzkultur fortgeführt. Aber wohl weniger im Blog Lobos, den Mainstream-Journalisten wie Matussek zum „talking head“ der Netzgemeinde erkoren haben. Auf die „dröhnende politische Leere“ die Matussek in gleich allen Piraten-Verlautbarungen wahrgenommen haben will, kann man wohl nur mit einem Lichtenberg-Aphorismus antworten: Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen und es klingt hohl, wusste Lichtenberg, liegt es nicht unbedingt an dem Buch; dies scheint auch für Online-Texte zu gelten.

 

Piraten sind Nazis

Mit seinem Wettern gegen die „theologische Travestie“ der Piraten scheint der „Spiegel“ in die Vormoderne zurückgefallen zu sein. Doch wenigstens schreit er nicht, wie damals die Theologen, nach dem Scheiterhaufen für Netzaktivisten. Aber ein Nürnberger Kriegsverbrechertribunal hätten sie, so deutet das Bertelsmann-Magazin an, schon fast verdient, denn „Raubkopierer sind Verbrecher“ (Slogan der Verwerter) und Piraten sind Nazis –so deutet Matussek an:

„Diese Maschinenmenschen rufen zwar ständig den Tod des Autors aus, aber das tun sie dann doch mit der allergrößten Autoren-Angeberei. Alles, so die Behauptung, sei ein großer Textfluss, der über die Bildschirme ströme, der von Tausenden Autoren stamme und sich nur zufällig verdichte im Einzelnen. Da ist der Gedanke an die völkische Textgemeinschaft nicht weit. Interessanterweise wurde der Urhebergedanke auch während der Nazi-Zeit stark abgewertet –da galt der Autor dann lediglich als ‚Treuhänder des Werkes‘ für die Volksgemeinschaft.“

 

Bertelsmann kennt sich aus mit Nazis

Das Bertelsmann-Blatt muss es wissen, denn Bertelsmann machte, was Bertelsmann-Leser interessanterweise im „Spiegel“ selten erfahren, selbst beste Geschäfte unter Goebbels als ‚Treuhänder des Werkes‘; so z.B. mit dem kriegsverherrlichenden Epos „Flieger am Feind“, 1934 von Goebbels zum „Weihnachtsbuch der Hitlerjugend“ gekürt (Quelle: Polunbi). Bertelsmann verdiente Millionen Reichsmark mit rührender Sorge um die Jugend, später dann mit Frontlektüre für die NS-Truppen. Aber dem großen Mahner und Warner vor angeblichem Nazitum der Piraten Matussek ist das keine Zeile wert. Wichtig ist ihm anscheinend nur eins, dass dieser Maschinenmensch-Pirat irgendwie ein Nazi ist. Warum? Er ist gegen die „Verwerter“. Matussek fabuliert weiter:

„Ihr Protest, so die Piraten, richte sich gegen die Verwerter, ein Begriff, der eine grauenhafte Konnotation enthält, nämlich die einer selbst nicht kreativen Zwischenschicht, die sich vampiristisch auf der einen Seite am Talent und auf der anderen Seite am (Netz-) Volk gütlich tut. In den Karikaturen der 30er Jahre kam sie als Parasitenbande von jüdischen Krämern, Händlern und Finanzbossen vor.“

Weil die Nazis einst Finanzbosse als jüdische Parasiten verunglimpften, so die dünne Argumentation von Matussek, sei heute ein Nazi, wer etwas gegen Finanzbosse sage. Und weil die Verwerter, die Matussek bezahlen, wohl auch Finanzbosse sind, befällt ihn, Matussek, eine „grauenhafte Konnotation“, die ihn letztlich die Piraten als Nazis hinstellen lässt. Und diese Konnotationen walzt Matussek weidlich aus. Er findet Ideen der Piraten, die „uns direkt ins Reich der Umerziehungslager“ führen werden, denn sie „wollen die totale Transparenz“, ihr „Traum totaler Herrschaftsfreiheit“ werde „in der Praxis Repressionsapparate und Terror“ gebären und auch „das Begeisterungsfeuer von Halbwüchsigen kann, wie wir von den totalitären Jugendkohorten des vergangenen Jahrhunderts wissen, zu Verheerungen führen.“ So schließt Matussek, leider ohne uns zu sagen, wo er bei den Piraten den „Traum totaler Herrschaftsfreiheit“ und „totalitäre Jugendkohorten“ im Kampf um „totale Transparenz“ usw. gesichtet haben will. #

>Eine gekürzte Fassung erschien in Flaschenpost -Nachrichtenmagazin der Piratenpartei


Das maschinenhafte Menschenbild der Piraten: Nachschlag vom „Spiegel“

Zwei Ausgaben später präsentierte der „Spiegel“ sechs nach Gusto der Redaktion ausgewählte und zusammengekürzte Leserbriefe, die überwiegend wirr bis zustimmend klangen, einer bat um Milde, weil jeder alles neu lernen müsse, eben auch die Piraten, einer schrieb als „kein Piraten-Fan“ und fand Piraten-Bashing scheinbar gut, nur den Nazi-Vergleich übertrieben, eine fragte wenigstens, woher Matussek seine Behauptungen habe, nur ein einziger äußerte expliziten Unwillen über das „misanthropische Gekeife“ des „Spiegel“-Pamphlets. Soweit das, was „Spiegel“ seine Leser über seine Leser wissen ließ.#

----

Dokumentation: Leserbriefe „Spiegel“ 25/2012 zu Matthias Matussek: Das maschinenhafte Menschenbild der Piraten / Jeder Mensch lernt alles neu

(...) nicht Sie und nicht ich, aber jüngere Menschen müssen es neu lernen, weil jeder Mensch alles neu lernen muss. Dr. Herbert Schultz-Gora, Hofheim (Hessen)

Jeder Satz trifft ins Schwarze. Hoffentlich nimmt der angezielte Personenkreis die Gelegenheit wahr, um sich die eigene Lächerlichkeit vor Augen zu führen. Jürgen Wissner, Hamburg

Wäre es nicht besser, die Ursache als das Symptom zu behandeln: Die Undurchsichtigkeit der Verhältnisse? Friedrich Langreuther, Berlin

Ich bin kein Piraten-Fan. Doch was Matussek hier schreibt ist himmelschreiender Unsinn. Es gilt: Wer den ersten Nazi-Vergleich macht, hat meistens unrecht. Rauol Nuber, Berlin

(...) Woher er den „Traum totaler Herrschaftsfreiheit“ hat, weiß hoffentlich wenigstens er. Renata Stiller, Hamburg

Hätte Matussek etwas mehr gelesen (...) wäre dem Publikum sein misanthropisches Gekeife über die „Wohlstandsverwahrlosung“ erspart geblieben. Hartmut Schönherr, Bruchsaal (BW)

Leserbriefe hier gekürzt und in geänderter Reihenfolge


 ----

Eine freundliche Analyse der Piraten liefert die Berliner Gazette:

Piratenpartei – ein Politik-Startup ohne Geschichte?

von Christoph Bieber

----

Internetpolitik2.0: Kauf dir viele virtuelle Freunde

Die Union zwischen Freibier und Outsourcing

Thomas Barth, 14.07.2012

Früher setzte man Claqueure ins Publikum, dann kam das Soap-Lachen vom Band und nun gibt es eine Branche, die im Web2.0 entsprechende Dienstleistungen anbietet: Friend faker, ein etwas anrüchiges Genre zwischen Stimmungsmache und Schleichwerbung. Bei der CDU, die verzweifelt versucht, den Piraten Jungwähler im Web2.0 abzujagen, wurden nun unerklärbare Sprünge an Twitter-Followern entdeckt.

Betrübt es Sie, dass niemand außer Ihnen selbst Ihr YouTube-Video angucken mag? Die US-Marketingfirma Social Media Combo etwa verspricht Abhilfe: Sie verkauft (angebliche) Aufmerksamkeit, Tausend  YouTube-Views kosten 110,99- Dollar; 21,44- Dollar muss man für  500+ likes auf Facebook zahlen, 55,00- Dollar für 300 followers auf Pinterest. Am billigsten bekommt man es auf Twitter:

“What’s the best price on Twitter followers? Our best price is only $9.99 for 1200+ followers on Twitter for starters. If you’re an intermediate entrepreneur you can take 5000 followers on Twitter for a low price of $30.99 & up to 50K followers for $225.99 for your business.”

Die PR-Effekte liegen auf der Hand, viele User folgen der Masse der clicks, views und likes in ihrer Auswahl aus den Myriaden Angeboten des Cyberspace –obwohl man eigentlich weiß, wie Lemminge ihre Massenevents beenden und wohin sich die meisten Fliegen setzen. Ist es gerade für eine Partei die nicht so sehr an kontroversen Debatten, sondern mehr am Erfolg orientiert ist, vielleicht besonders attraktiv sich „Follower“ zu kaufen?  Dieses Wort wird ja eigentlich am besten als „Mitläufer“ ins Deutsche übersetzt. Die am ehesten für facebook-tauglich geltende Bundesfamilienministerin Kristina Schröder hatte im Web2.0 schon vehement die CDU-Flagge geschwenkt und gleich eine gemeinsame Initiative mit der Firma Facebook gestartet.

 

Aber nicht einmal  das hatte der CDU zu allzu viel Online-Aufmerksamkeit erbracht. Ging CSU-Chef Seehofer bei der Suche nach Freunden im Web2.0 noch den bodenständigen Weg einer Facebook-Party, könnten modernere PR-Profis in der Politik eher auf effizientes Outsourcing gesetzt haben –wie viele Maß Freibier bekommt man schon für 30,99- Dollar? Die Frage, ob die CDU sich Twitter-Follower gekauft hat, brachte das ZDF-Blog Hyperland auf.

Bis zum 26. April war demnach die Mitläufer-Schar im Twitter-Profil der CDU (@cdu_news) nur bedächtig gewachsen. Eine Online-Redaktion der CDU-Bundesgeschäftsstelle pflegt das Konto seit Anfang 2009 und  konnte bis dahin an die 20.000 Follower an sich binden. Ärgerlich war vermutlich: Die SPD hatte zu dem Zeitpunkt fast  5.000 virtuelle Mitläufer mehr. Vom 26. bis 29. April fanden jedoch innerhalb von nur drei Tagen plötzlich ca. 5.000 neue Follower Geschmack an dem CDU-Onlinedienst, obwohl nichts  Sensationelles passiert war. Nach dem 29. April ging der mühsame Anstieg weiter wie bisher.

Jens Schröder von Hyperland sah sich die neuesten 10.000 Follower der CDU genau an und fand dabei „sehr schnell“ fast genau 5.000 Follower, die ihm nicht zum Rest zu passen schienen.

Die CDU- Twitterer (auf @cdu_news) kamen vorher meist aus Deutschland, nun plötzlich auch  aus Venezuela, Milwaukee und Indien; die meisten der seltsamen Twitter-Accounts folgen mehr als 1.000 anderen Twitterern, hatten nur drei bis zehn Tweets getwittert und selbst maximal 60 Follower. Auffällig fand Schröder auch die künstlich klingenden Namen der Accounts: @ykKOMIENSIMMIE, @Zaidacx46 oder @eoWebKinzPopxo nannten sich die virtuellen CDU-Mitläufer.

Auch das via Twitter-API öffentlich zugängliche Erstellungsdatum der Accounts schien verdächtig: So wurden z.B.  450 davon im Abstand weniger Minuten am 24. und 25. Januar eröffnet;  ca. 500 der 5.000 CDU-Neuzugäng  twitterten nur bis zum 15. Dezember 2011, weitere 1.400 bis zum 20. Januar 2012. Die Firma Social Media Combo, recherchierte Schröder, betreibt offenbar auch Seiten wie addtwitter-followers.com und etwa 130 der neuen CDU-Follower folgten @socialmedia04, dem Follower-Account der Online-PR- Firma selbst. Von  Hyperland mit den Recherche-Ergebnissen konfrontiert, zeigte sich die CDU überrascht:

“ Die CDU Deutschlands hat zu keinem Zeitpunkt und für keines ihrer Angebote den Kauf von Followern beauftragt oder veranlasst. Bezüglich des ungewöhnlichen Anstiegs der Follower-Zahlen auf @cdu_news im April hat die CDU Twitter mit der Überprüfung und ggf. Löschung der Anmeldungen beauftragt. Die entsprechenden Löschungen sind bereits erfolgt.”

 

So löschte Twitter hat die 5.000 Geister-Accounts und ließ uns mit dem Problem zurück, wer verantwortlich für den Aufmerksamkeits-Segen  für die Christdemokraten gewesen sein könnte. Schröder fragte sich: „ein übermotivierter Mitarbeiter, ein anonymes Parteimitglied, oder einfach nur jemand, der 31 Dollar übrig hatte“?

 

Die tollpatschige Web2.0-Farce der Union wurde von der chronisch unterfinanzierten Piratenpartei mit dem wohl nicht wirklich ernstgemeinten Angebot bedacht: "Liebe CDU, wollt ihr euch noch 80.000 Follower dazu kaufen? Dann hättet ihr fast so viele wie wir". 

Ein offenbar erboster CDU-Anhänger, FranzK @Franz_589, hielt dagegen: „Die @Piratenpartei scheint ja damit wirklich Erfahrung mit den Ankauf von followern zu haben cc/ @cdu_news https://pluragraph.de/organisations/ … #piraten

Mit einem Link, der einen sprunghafte Anstieg von Piraten-Followern am 29.März 2012 zeigt.

Doch die Piratenpartei NRW hatte am 28.März einen realen Schub an Aufmerksamkeit erhalten: Der WDR hatte sie quasi offiziell zur „fast-schon-Landtags-Fraktion“ erklärt:

„Im Vorfeld der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen sendet das WDR Fernsehen "Das Duell" der beiden Kandidaten für das Amt der Ministerpräsidentin bzw. des Ministerpräsidenten und eine "Runde der Spitzenkandidaten" der Parteien, die bislang im NRW-Landtag vertreten sind, und der Piratenpartei.“

Erschien auch in Flaschenpost -Nachrichtenmagazin der Piratenpartei

------

„Ernsthafte Netzpolitik“?: Reden über, nicht mit Piraten

Thomas Barth, Juni 2012

In Ausgabe 24/2012 interviewte der „Spiegel“ Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zum Piraten-Thema ACTA und gab so der FDP ein breites Forum sich gegenüber den Piraten als „vernünftige“ Partei der freien Netze zu profilieren. Leutheusser-Schnarrenberger genießt großes Ansehen bei Datenschützern, denn sie trat unter Kohl bei Einführung des „Großen Lauschangriffs“ durch die CDU von ihrem Amt als Justizministerin zurück –eines der wenigen nennenswerten Anzeichen von politischem Rückgrat, welche die FDP vorweisen kann. Dem Aufblühen von Datenschutz- und Netzkultur in der Piratenpartei ist wohl zu verdanken, dass Leutheusser-Schnarrenberger jetzt von den Medien wieder etwas nach vorne geschoben wird: Man will den Piraten damit offenbar das Wasser abgraben.

Erste Frage: „Frau Ministerin, wie würden Sie das Wort Shitstorm übersetzen?“ Dieses unter dem Namen „Flamewar“ altbekannte Phänomen der Netze hat es den Kampagnen-Journalisten angetan. Wo kämen wir hin, wenn außer großen Medienkonzernen wie Bertelsmann auch kleinere Akteure Schmäh-Lawinen lostreten könnten. Die Ministerin zeigte sich überrascht, dass bei ACTA ihres Wissens erstmalig Proteste im Netz zu Demos auf der Straße wurden. Ihrem Konterfei gegenüber droht das Bild eines maskierten Anonymous-Aktivisten, der grimmig seine Parole „NO ACTA“ präsentiert. Tenor des Interviews: Es mangele den jungen Leuten am Rechtsempfinden, „für die geistigen Leistungen anderer bezahlen zu müssen“.

Ob es bei allen Spitzenpolitikern von CDU und FDP solch ein Rechtsempfinden gibt, hat die FDP-Frau sich scheinbar trotz Plagiatsaffären nie gefragt –da ging es nicht nur darum, nicht zu bezahlen, da wurde das Geklaute gleich unter eigenem Namen präsentiert und im Doktortitel als Mittel zur Polit-Karriere eingesetzt. Leutheusser-Schnarrenberger: „Daher müssen wir bei den Usern das Verständnis dafür wecken, welch hohen kulturellen Wert geistige Leistungen haben.“ Natürlich nur bei den Usern, nicht bei den Verwertern, die immer noch das Gros der freien Urheber mit Knebelverträgen zur Abtretung aller Urheberrechte gegen ein Butterbrot zwingen. Die Urheber, die jüngst in den Medien mit ihrer Empörung breiten Raum bekommen, sind meist die großen Gewinner des Mediensystems.

Nach der Sommerpause werde sie einen Gesetzesentwurf vorlegen, der die Rechte von Urhebern (gemeint ist wohl eher: von Verwertern) gegen  die User stärkt: „Wir wollen z.B. die Möglichkeit für Rechteinhaber erleichtern, an die Mail-Adressen von illegalen Downloadern zu kommen, um ihre Ansprüche geltend zu machen... Das ist ein Riesenprojekt.“

„Spiegel“ fragt: „Was spricht eigentlich dagegen, dass jemand, der seine Meinung äußert, dazu mit seinem Namen stehen muss?“ Leutheusser-Schnarrenberger: „...weil dadurch persönliche Nachteile entstehen könnten.“

Leutheusser-Schnarrenberger: „Es ist ja interessant zu beobachten, dass die Piraten zu vielen Punkten, selbst zum UHR, keine klare Position haben.“ Was Piraten diesbezüglich diskutieren, z.B. eine Kulturflatrate, weiß sie angeblich nicht, bemängelt nur unklare Positionen. Allein dies ist seltsam, denn zuvor hatte sie noch zugegeben, selbst noch keine konkreten Lösungsansätze zu haben –nach Jahrzehnten als FDP-Funktionärin, zweimaliger Justizministerin mit einem aus Steuermitteln teuer bezahlten juristischen Beraterstab.

„Wie müssen ehrlich gestehen, dass wir noch nicht die richtigen Instrumente gefunden haben, um das UHR im Netz überzeugend und umfassend zu schützen.“, sagt Leutheusser-Schnarrenberger, aber eins weiß sie sicher: eine Kulturflatrate wäre „Zwangskollektivierung“. Woher sie das weiß, sagt sie nicht, aber vielleicht waren ja zu viel Lobbyisten aus der Verwerter-Industrie in ihrem Beraterstab.

„Wie müssen ehrlich gestehen, dass wir noch nicht die richtigen Instrumente gefunden haben, um das UHR im Netz überzeugend und umfassend zu schützen.“, sagt Leutheusser-Schnarrenberger, aber eins weiß sie sicher: eine Kulturflatrate wäre „Zwangskollektivierung“. Woher sie das weiß, sagt sie nicht, aber vielleicht waren ja zu viel Lobbyisten aus der Verwerter-Industrie in ihrem Beraterstab.

Die Piraten selbst lässt der „Spiegel“ zu ACTA nicht zu Wort kommen, dafür folgt dem Leutheusser-Schnarrenberger -Interview der Artikel „Feind an Bord“, der beschreibt, wie listig sich die Waffenlobby bei einer Piraten-Arbeitsgruppe eingeschlichen und sie mit Schießvergnügen an piratigen Vorderladerpistolen geködert hatte. Tenor des Beitrags: Piraten sind alberne dumme Jungs. Blättert man um, erscheint an der Stelle der Netzhaut, wo eben noch das Piratenlogo war, eine Nazi-Truppe, die auf einer Demo ihre Internet-Adresse hochhält. Durch subtiles Arrangement von Bildern und Texten kann man auch Bezüge von Piraten zu Nazis herstellen. #

----

--Hintergrund zu Mathias Matusseks Anti-Piraten-Pamphlet im "Spiegel"
 

Uralte Stereotype: Hacker, Nerds, Computerfreaks

Warum das Inverse Panoptikum der Hackerkultur nicht verstanden wurde

Thomas Barth, Juni 2012

Mathias Matussek hat mit seinem Pamphlet „Das maschinenhafte Menschenbild der Piraten“ wohl den bislang aggressivsten Beitrag zur Medienkampagne gegen die Piraten geleistet. Er hat sich darin im Dienste Bertelsmanns für den „Spiegel“ eines der ältesten Stereotype gegen Computernutzer bedient –wenn auch nur unbewusst bzw. nach Hörensagen, wie man angesichts seiner eher mäßigen Kenntnisse der Netzkultur wohl vermuten muss. 1987 galt die Studie „Der maschinelle Charakter“ (in Anlehnung an Adornos „Studie zum Autoritären Charakter“) der führenden akademischen Experten Pflüger & Schurz als Stand der Forschung; darin wurde allen Ernstes behauptet, „übermäßige“ Computernutzung führe zu einem totalitären „Schwarz-Weiß-Denken“, quasi durch psychische Infektion mit der binären Null-Eins-Logik der neuen digitalen Medien. In meiner Diplomarbeit konnte ich 1990 signifikant nachweisen, dass die zugrunde gelegten Daten dürftig und zudem falsch interpretiert waren sowie dass Forschungsdesign und Theoriebasis desolat waren.

1997 konnte ich in einer weiteren Studie aufzeigen, wie der „Maschinelle Charakter“ sich als Standardisierung und Normierung von Vorurteilen in eine Stigmatisierungs-Kampagne gegen die damals noch kleine Computer- und Netzkultur einfügte. An diese Stigmatisierung knüpfte jetzt, 25 Jahre später, das „Spiegel“-Pamphlet an. Der Netzbewohner, Hacker bzw. „Computerfreak“ war schon damals zur Projektionsfläche von Ängsten und Wünschen bezüglich der heranrollenden digitalen Medienkultur geworden, deshalb wurde er pathologisiert und kriminalisiert. Außerdem tobten bereits erste politische Kämpfe um den künftigen Cyberspace der Netze, für die ich damals zwei Hauptfelder prognostizierte:

1. Strafrecht und Überwachungsstaat, der sich im Internet gegen Hacker richten würde, die nach Transparenz von Daten der Mächtigen strebten, frühe Vorläufer von Anonymous und WikiLeaks;

2. Die ökonomische Erdrosselung der Netzkultur durch das Copyright, wenn der digitalen Kommunikation die Besitzmetaphorik der Warenwelt übergestülpt würde.

Als Lösungsansatz unterbreitete ich 1997 das Utopiemodell des „inversen Panoptikums“, das den Panoptismus moderner Gesellschaften (Foucault) vom Kopf auf die Füße stellt: Anstatt einer immer weiter ausgebauten Überwachung der vielen Machtlosen durch wenige Mächtige sollte umgekehrt die Transparenz der Mächtigen und der Datenschutz für die vielen zur Norm werden. Meine Studie „Soziale Kontrolle in der Informationsgesellschaft: Systemtheorie, Foucault und die Computerfreaks als Gegenmacht zum Panoptismus der Computer- und Multimedia-Kultur“ steht inzwischen in vielen Informatik-Fachbibliotheken, die Debatte des Panoptismus-Begriffes findet sich in vielen Beiträgen wieder. Im „Spiegel“ und anderen Mainstream-Medien weigert man sich aber verbissen, die neuen Wertvorstellungen der Netzkultur zur Kenntnis zu nehmen. So wird dort immer wieder der angebliche Widerspruch bei Netzaktivisten und Piraten gegeißelt, sie seien für Transparenz, aber wollen zugleich Anonymität im Netz.

Mit dem im „Spiegel“ gegeißelten „Traum totaler Herrschaftsfreiheit“ hat das natürlich nichts zu tun. Das „inverse Panoptikum“ stellt lediglich ein Leitbild zur Vermeidung einer drohenden totalen Überwachung dar, die zudem mit ausuferndem Lobbyismus und Korruption in Medien und Politik einhergeht. Digitale Technologie konzentriert immer mehr Macht bei wenigen Überwachern: Macht durch Kontrolle über die Daten der Einzelnen und Macht über den Zugang der Einzelnen zu den Medien. In einer Demokratie können die vielen Machtlosen sich jedoch gegen die zunehmende Drangsalierung wehren. Die Dunkelmänner der Datenwelt haben das natürlich auch begriffen und schreien allerorten selbst laut nach Transparenz, meinen damit aber Kontrolle über Netznutzer, Kunden, Arbeitende.

Als Gegenmächte stehen der Netzkultur damit vor allem die Geheimdienste und die großen Medienkonzerne, sprich: die Verwerter, gegenüber.  Der größte Verwerter in Europa heißt Bertelsmann, der Kampf um alte Pfründe, z.B. des Copyright auch in der neuen Netzkultur, steht für diese Machtgruppen an erster Stelle. Wer etwas Neues will, wird von diesen Machtgruppen angefeindet, schlechtgeredet, später vielleicht korrumpiert, infiltriert und gekauft. So ging es der SPD, als Medienkanzler (!) Schröder für seine „Agenda 2010“ sein Hartz IV-Konzept von der Bertelsmann-Stiftung schreiben, durch McKinsey (damals Bertelsmanns Unternehmensberater) umsetzen und von Bertelsmann-Medien beklatschen ließ. So ging es den Grünen, als sie sich die Bildungspolitik der Bertelsmann-Stiftung aufschwatzen ließen, das „Leuchtturm“-Gefasel, Privatisierung und Studiengebühren. Als Grüne nach jahrzehntelangem Kampf endlich auf EU-Ebene ein Chemikaliengesetz mit formulieren durften, hatten sie sich von neoliberalen Ideologen schon so sehr einlullen lassen, dass sie sich einen Chemielobbyisten unterschieben ließen, der dem Gesetz die Zähne zog. Auch bei den Grünen begann es mit einer medialen Mischung aus Lobhudelei und Verteufelung; Lobhudelei, denn ihre Anhänger sollten ja letztlich an der Nase im Kreis herum geführt werden; Verteufelung für jene, die das nicht mit sich machen lassen wollten.

Die Piraten werden in den Mainstream-Medien heute unter dem Stereotyp der Hacker-, Nerd- und Netzkultur stigmatisiert. Der größte Skandal scheint den sie anfeindenden Gegner aber zu sein, dass hier „computeraffine“ Menschen tatsächlich politisch sind. Sie sind eben nicht unpolitische Fachidioten wie die Nerds aus der US-Soap „The Big-Bang-Theory“. Verschiedenste Label werden ihnen aufgedrückt, was im Grunde jedoch nur eines zeigt: Sie dienen als Projektionsfläche für Hoffnungen und Ängste. Vor allem wohl der Hoffnung, sie mögen bei aller Computerkompetenz doch so dumm sein, dass sie wie geschmiert von der korrupten Mainstream-Medienwelt und -Politik assimiliert werden können.#

Siehe dazu Stichwort Panoptismus

 

----



Startseite   |  Gästebuch   |  Anders Philosophie   |  Über Günther Anders   |  Big BrotherAwards   |  Rezensionen/Bildung   |  Ethik   |  Medientheorie   |  Blog
#########